Chinesisches Märchen - Ein Fohlen überquert den Fluss

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Am Ufer eines kleinen Flusses lebte eine glückliche Pferdefamilie. Eines Tages sagte die Mutter zu dem jungen Hengst: »Mingming, du bist schon alt genug, um mir bei der Arbeit zu helfen. Kannst du heute diesen halben Sack Weizen in die Mühle am anderen Ufer des Flusses bringen?«

Begeistert bäumte sich das Fohlen auf: »Ja, gerne!« – kaum war die Mutter mit der Erklärung der Route und Aufgabe fertig, war es schon in Windeseile davon geprescht.

Mingming verspürte ein starkes Bedürfnis, seine Fähigkeit unter Beweis zu stellen. Ganz beglückt von seiner ersten spannenden Mission glaubte er, dass ihn heute ein ganz besonderer Tag erwartete.

Der junge Hengst genoss, trotz seines jungen Alters, den Ruf eines schnellen Läufers. So stürmte er also mit dem halben Sack Weizen ans Wasser, ohne auf dem Weg den Anblick auf die schöne Landschaft zu genießen.

»Ups!« – als das unerfahrene Pferdchen feststellte, dass weit und breit keine Brücke über das Wasser führte, war es verblüfft. »Wie komme ich da jetzt hinüber?«, fragte sich Mingming.

Unweit des Ufers beobachtete er einen Büffel beim Grasen. Mingming galoppierte hastig zu dem Büffel und schnaubte: »Hallo Onkel, kannst du mir sagen, wie ich den Fluss überqueren kann?«

Der Büffel hob langsam den Kopf, streckte seinen rechten Vorderhuf deutend hervor: »Ach, ganz einfach. Das Wasser ist gar nicht tief! Es reicht nur bis zu meinen Unterschenkeln. Du kannst ruhig hinüberlaufen.«

Der Junge strahlte, trabte wieder zurück zum Wasser. Als er sich gerade ins Wasser wagte, ertönte plötzlich ein lauter Schrei: »Halt!« – ein kleines Eichhörnchen eilte energisch auf ihn zu. Mit einem langen, schönen, buschigen Schwanz und ernstem Blick keuchte das kleine Eichhörnchen: »Das Wasser des Flusses ist sehr tief! Einer meiner Kumpels fiel vor zwei Tagen ins Wasser und wurde vom Strom mitgerissen.«

Das Fohlen hatte keine Ideen mehr, es wusste sich nicht mehr zu helfen. Der Büffel sagte, dass der Fluss flach sei, und das kleine Eichhörnchen sagte, dass der Fluss tief sei. »Was soll ich jetzt bloß tun? Ich muss zurückgehen und meine Mutter fragen.«, beschloss der junge Hengst.

Mingming trottete mit hängendem Kopf zurück zu seiner Mutter und erzählte schluchzend die Worte des Büffels und des kleinen Eichhörnchens.

Die Mutter tröstete das Kind und antwortete aufmunternd: »Es ist egal, was andere sagen, lass uns zusammen zum Fluss gehen und selbst nachschauen.«

Der Junge und seine Mutter gelangten zum Fluss, und die Mutter bat ihr Kind, die Tiefe des Flusses mit eigenen Beinen zu testen. Mingming tappte vorsichtig voran und überquerte schrittweise den Fluss.

Aha! Das junge Pferd verstand endlich, dass der Fluss weder so flach war, wie der Büffel gesagt hatte, noch so tief, wie das kleine Eichhörnchen behauptet hatte. Die Wahrheit erfährt man also nur, wenn man Dinge selbst ausprobiert und

Liebevoll sah Mingming seine Mutter an: »Danke, liebe Mama!« Dann drehte er sich um und trabte wiehernd zur Mühle – das Fohlen fühlte sich so glücklich wie noch nie. Dank seiner Mutter fand das Kind sein besseres »Selbst«, indem es sich und seiner inneren Stimme zu vertrauen lernte.

 

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